Baubiologie und Oekologie

Gesundes Wohnen und Arbeiten


Bayreuth, 26.04.2024

 

Wohngifte im alten Fertighaus

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Fertighäuser aus den siebziger Jahren gehören zum festen Portfolio von Immobilienmaklern -

Meistens sind die Angebote für junge Familien verlockend. Als wichtigste Pluspunkte gelten eine Toplage, ein relativ großes Grundstück, eine gute Raumaufteilung und letztlich ein günstiger Preis. Zu oft verdrängen die Hauskäufer jedoch die Schadstoffproblematik in älteren Fertighäusern. Selbst fünfzig Jahre nach der Fertigstellung sind bestimmte Schadstoffgruppen noch nicht ausgelüftet. Für Baubiologen ergibt sich ein permanenter Beratungsbedarf.

Der unangenehme Geruch fällt nicht sofort auf

Der Baubiologe Oliver Zenkel fragt die Anrufer generell nach empfundenen Gerüchen bei der ersten Hausbesichtigung. Erstaunlicherweise fällt der Geruch nicht immer sofort auf. Es mag daran liegen, dass Verkäufer oder Makler die Räume vor der Besichtigung gründlich lüften. Alle Fertighäuser riechen auch nicht gleich auffällig. Verursacher für die Geruchsbildung sind erster Linie Chloranisole. Die chemische Substanz entsteht vorrangig durch den mikrobiologischen Abbau von Holzschutzmitteln. Denn die Konstruktion von Fertighäusern besteht meistens aus Holzriegeln und Spanplatten. In den siebziger und achtziger Jahren wurden diese Holzoberflächen oft mit Holzschutzmitteln behandelt. Chloranisole verbleiben hartnäckig im Gebäude, da sie zusätzlich an Möbeln, Wandoberflächen oder der Bekleidung anhaften. Oft fällt den Bewohnern die Geruchsbelästigung durch den jahrelangen Gewöhnungsprozess nicht mehr auf. Deshalb reagieren die Hauseigentümer nicht selten überrascht oder empfindlich, wenn sie ein Gast auf das Problem anspricht.

Formaldehyd in bedenklichen Konzentrationen

Zur Geruchsproblematik gesellt sich in vielen Fällen ein gesundheitliches Risiko durch schwerflüchtige Innenraumschadstoffe in der Raumluft. Diese Erkenntnis mögen Hauskäufer oft nicht recht glauben, die Schadstoffe doch nach so langer Zeit ausgelüftet sein sollten! Zu den sehr langlebigen Chemikalien gehört Formaldehyd. In die Fertighäuser kam die Chemikalie durch die verbauten Pressspanplatten in Böden, Wänden und Decken. Diese Platten bestehen hauptsächlich aus Holzspänen und einem Bindemittel aus Kunstharz. Das darin enthaltene Formaldehyd spaltet sich im Laufe der Lebensdauer eines Gebäudes unter Zugabe von Luftfeuchtigkeit ab. Die Formaldehydkonzentration in der Raumlauft steht deshalb im engen Zusammenhang mit der relativen Luftfeuchtigkeit. Nicht selten werden in Fertighäusern Konzentrationen über 120 Mikrogramm je Kubikmeter (µg/m²) gemessen. Spitzenwerte in Häusern der endsiebziger Jahre kamen sogar auf 300 µg/m² und mehr. Formaldehyd ist laut KMR-Liste als krebserregend in der Kategorie 1B eingestuft.

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Holzschutzmittel gasen ebenfalls langsam aus

In Fertighäusern wurde in erster Linie das Ständerwerk mit chemischem Holzschutz gehandelt. Lindan und Pentachlorphenol (PCP) wurden in diesem Zusammenhang am häufigsten verwendet. Die Chemikalien gelangen nicht nur direkt in die Raumluft, sondern sammeln sich auch im Hausstaub an. Deshalb ist eine Laboranalytik sowohl über die Raumluft als auch über den Hausstaub möglich. PCP soll den Pilzbefall im Material verhindern, Lindan dient zur Insektenvernichtung. Beide Chemikalien sind laut KMR-Liste als krebserregend in der Stufe 2 eingruppiert. Lindan steht im Verdacht, neurologische Schäden bei Menschen zu verursachen. Als weiteres Krankheitsbild wird in der Literatur das chronische Ermüdungs- und Erschöpfungssyndrom genannt.

Sanierung oder Teilabriss

In Zeiten des Internets gibt es für jedes Problem eine Lösung – wenigstens aus vordergründiger Betrachtung. In einem seriös anmutenden Forschungsprojekt hat das Fraunhofer-Institut für Holzforschung (WKI) einige Vorschläge unterbreitet. Der Einbau einer dezentralen Lüftungsanlage steht ganz oben auf der Prioritätenliste. Besonders angezeigt ist die Maßnahme, wenn ein altes Fertighaus energetisch saniert werden soll. Ansonsten empfiehlt das WKI, bei der Sanierung selektiv vorzugehen und aufgrund einer Bestandsaufnahme die Eintrittspfade zu ermitteln. Wenn möglich, sollte belastetes Material über die Außenwand ausgetauscht werden. Schwachstellen im Innenbereich, wie Steckdosen oder Lichtschalter, sind abzudichten. Zur Senkung der Chloranisolkonzentration empfiehlt das Forschungsprojekt das Aufbringen einer absorptiven Aktivkohletapete. Die Wirkung von maskierenden Farbanstrichen von Wänden und Decken ist nicht dauerhaft nachgewiesen. Gegebenenfalls ist nach Ablauf von zehn Jahren eine Nachbehandlung durchzuführen. Sollte der Keller eine solide Bausubstanz aufweisen und das Grundstück einen hohen Wohnwert bieten, könnte ein Teilabriss und anschließender Neubau eine Alternative zur kostspieligen Sanierung mit ungewissem Ausgang darstellen.

Weitere Informationen

www.arguk.de/informationen/documents/Fertighausgeruch_durch_Chloranisole_in_der_Raumluft_aelterer_Fertighaeuser.pdf
www.baubiologie-regional.de/glossar/schadstoffe/kmr-liste-229.html
www.ifau.org/bibo/schadinfo.htm
www.wki.fraunhofer.de/de/fachbereiche/maic/profil/forschungsprojekte/sanierung-alter-holzhaeuser.html





 


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