Baubiologie und Oekologie

Gesundes Wohnen und Arbeiten


Bayreuth, 28.03.2024

 

Auswahl von gesundheitsverträglichen Baustoffen

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Woran sollen sich Bauherren und Planer bei der Suche nach gesundheitsverträglichen Baustoffen orientieren? Bietet das Umweltzeichen "Blauer Engel" ausreichend Sicherheit? Was steckt hinter Ökolabeln wie "Natureplus"? Oder bleibt dem kritischen Konsumenten nur eine aufwendige Recherche zu den Inhaltsstoffen übrig? Der Ratgeber des Umweltbundesamtes "Umwelt- und gesundheitsverträgliche Bauprodukte" bringt viel Struktur in das Auswahlverfahren und ist als Einstiegslektüre zu empfehlen. Die Broschüre steht seit September 2015 auf der Webseite der Dessauer Umweltbehörde als PDF-Datei bereit. Dennoch bleiben im UBA-Leitfaden einige kritische Fragen offen, die anschließend diskutiert werden sollen.

Baustoffe mit amtlicher Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBT)

Die Zulassungsstelle für Bauprodukte und Bauarten erteilt auf Antrag eine amtliche bauliche Zulassung, wenn das Produkt die Prüfung nach dem AgBB-Schema bestanden hat. In einer genormten Prüfkammer von 30 Kubikmetern werden die aus dem Produkt austretenden flüchtigen organischen Verbindungen (VOC und SVOC) gemessen. Die erste Messung erfolgt nach drei Tagen, die zweite Messung nach 28 Tagen. Bewertet werden sowohl einzelne auffällige Schadstoffe als auch der Summenwert der VOC (TVOC) und der Summenwert der SVOC (TSVOC). Eine Zulassung erhalten Produkte, bei denen der Summenwert von 1.000 µg/m³ unterschritten wird. Für die Beurteilung der Einzelstoffe gilt die NIK-Liste als Maßstab. Kanzerogene Stoffbestandteile nach EU-Kategorie 1A und 1B dürfen den Wert von 1 µg/m³ nicht übersteigen. Kanzerogene nach EU-Kategorie 2 werden anhand der NIK-Liste bewertet. Das Umweltbundesamt sieht in der Produktzulassung nach dem AgBB-Schema eine baurechtliche Mindestanforderung für Aufenthaltsräume. Die schlimmsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Bewohner könnten durch das Prüfverfahren vermieden werden. Der UBA-Ratgeber listet auf Seite 24 neun Beispiele auf, bei denen kritische Inhaltsstoffe zur Versagung der Zulassung führten.

Produkte mit dem "Blauen Engel"

Der "Blaue Engel" ist praktisch ein amtliches Umweltsiegel. Für die Organisation der Anträge und Vorbereitung der Zeichenvergabe ist die RAL gGmbH zuständig. Sie organisiert die Expertenanhörungen mit anschließender Labelvergabe. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ist Zeicheninhaber und informiert regelmäßig über die Entscheidungen der Jury Umweltzeichen. Das Umweltbundesamt fungiert mit dem Fachgebiet "Ökodesign, Umweltkennzeichnung, Umweltfreundliche Beschaffung" als Geschäftsstelle der Jury. Die Umweltbehörde entwickelt auch die fachlichen Kriterien der Vergabegrundlagen weiter.

Strengere Prüfkriterien als das AgBB-Schema

Grundsätzlich orientiert sich die Konzeption des Blauen Engels an der gesundheitlichen Prüfung nach dem AgBB-Schema.In einigen Punkten gelten jedoch strengere Bewertungsmaßstäbe: Der Summenwert VOC (TVOC) nach 28 Tagen in der Prüfkammer darf 100 µg/m³ nicht übersteigen. Die maximal zulässige Summe der SVOC beträgt 50 µg/m³. Für kanzerogene Stoffe gilt wie beim AgBB-Schema eine Obergrenze von 1 µg/m³. Anders als das AgBB-Schema bezieht der Blaue Engel kanzerogene Stoffe der Gruppe 2 in die strenge Bewertung mit ein. Weichmacher aus der Klasse der Phtalate dürfen bei der Herstellung von SMP-Klebstoffen nicht verwendet werden. Der Anteil von Tributyl- und Dibutylzinnverbindungen als Verunreinigung im Katalysator für Vernetzungsreaktionen von SMP-Klebstoffen darf 0,1% nicht übersteigen. Formaldehyd und Acetaldehyd dürfen bei der 3-Tage-Messung in der Prüfkammer den Summenwert von 0,05 ppm nicht übersteigen. Weitere Angaben finden sich in den Vergabegrundlage, nachzulesen am Beispiel der RAL-UZ 113.

Kritik am AgBB-Schema und am Blauen Engel

Bei der Bewertung von Lösemitteln nehmen die oben genannten Bewertungsverfahren auf die Festlegungen der TRGS 610 Bezug. Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) werden von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aufgestellt. Die Auslobung als "lösemittelfrei gemäß TRGS 610" ist zulässig, wenn anstatt gesundheitsgefährdender Lösemittel Ersatzstoffe für Bodenbeläge, Parkettarten und andere Holzfußböden mit lösemittelfreien Dispersionsklebstoffen (GISCODE D 1), SMP-Klebstoffen (GISCODE RS 10) oder lösemittelfreien PU-Klebstoffe (GISCODE RU 0,5 und RU 1) verwendet werden. Lösemittel im Sinne TRGS 610 sind flüchtige organische Stoffe sowie deren Mischungen mit einem Siedepunkt unter 200 Grad Celsius, die bei Normalbedingungen (20°C und 101,3 kPa) flüssig sind und dazu verwendet werden, andere Stoffe zu lösen oder zu verdünnen, ohne sie chemisch zu verändern.

Problematische PU-Klebstoffe in Klebern

In einem Artikel im XING-Forum Gesundes Bauen und Wohnen nimmt Dr. Rainer Bruns kritisch zur Verwendung von lösemittelfreien PU-Klebstoffen Stellung: "Polyurethan wird aus monomeren Diisocyanten hergestellt. Bei der späteren Verwendung können z.B. aus noch nicht abgebundenem Kleber Isocyanate freigesetzt werden. Isocyante gelten als Haut-, schleimhaut- und atemwegsreizend. Einige Isocyanate sind sowohl als gasförmiges Monomer aber auch in polymerer Form von Staub als Kazerogen der Kategorie 3 eingestuft. Bei Feuchteeinfluss auf abgebundenem PU können wieder Isocyanate freigesetzt werden. Bei Hitzeeinwirkung, z.B. im Brandfall besteht u.a. das Risiko der Bildung von Aminen. Ein weiterer Punkt ist die Freisetzung von PU-haltigen Stäuben durch Alterung, Abrieb und bei der mechanischen Bearbeitung. Die Einstufung Kanzerogen K3 gilt auch für polymeres MDI (PDMDI) als atembare Stäube. Welche weiteren Risiken von Atemweg-gefährdenden und lungengängigen PU-Partikel ausgehen können, ist weitestgehend unbekannt." Gesundheitsgefahren durch Isocyanate werden auch in der TRGS 430 eindeutig beschrieben.

Glykol gast über einen längeren Zeitraum aus

Dr. Bruns äußert sich in einem anderen Beitrag im XING-Forum ebenfalls kritisch zu Glykol als Ersatz für die in der TRGS 610 genannten Lösemittel. Glykol hat eine Siedepunkt von jenseits 200 Grad Celsius. Glykole sind wasserlöslich und riechen nicht. Durch den höheren Siedepunkt belasten sie aber die Raumluft über einen längeren Zeitraum und stehen anderen VOC in ihrer gesundheitlichen Wirkung nicht nach.

Luftwechselrate von 0,5/h

Das AgBB-Schema geht bei der Expositionsbetrachtung in der Prüfkammer von einer Luftwechselrate von 0,5/h aus. Dies bedeutet, dass im Zeitraum von zwei Stunden ein vollständiger Luftwechsel im Raum erfolgen muss. Die im AgBB-Schema zugrunde gelegte Luftwechselrate von 0,5/h setzt daher eine verstärkte aktive Lüftungstätigkeit voraus, um Folgeschäden aus hygienischer Sicht vorzubeugen. Die Bewertung kommt den Produktherstellern entgegen, dürfte aber der Realität im Privathaushalt nicht gerecht werden.

Natureplus-Zertifizierung

Das Natureplus-Label legt bei Bewertung von Innenraumschadstoffen noch strengere Richtlinien als der Blaue Engel an. Dabei gilt eine Liste mit Basiskriterien für alle zertifizierten Baustoffe. Darauf aufbauend finden sich für die einzelne Produktgruppen weitere Vorgaben. Bei den mineralischen Wandfarben beispielsweise sind folgende Bestandteile nicht zulässig: Weichmacher (im Sinne der VDL-RL 01), Glykolverbindungen, Alkylphenolethoxylate (APEO's), Halogenorganische Verbindungen, Zinnorganische Verbindungen, Azofarbstoffe, die krebserzeugende Amine abspalten, Biozide, die nicht der Topfkonservierung dienen (Filmkonservierungsmittel), Halogenierte Isothiazolinone, Formaldehydabspalter. Das Produkt darf nicht mit Pigmenten und Sikkativen auf der Basis von Blei-, Cadmium, Chrom VI und deren Verbindungen zubereitet sein. In der Rubrik "vollflächige Verklebung von textilen Bodenbelägen" geht Natureplus einen Kompromiss ein: es wird ein natureplus-zertifizierter Kleber oder mindestens ein "sehr emissionsarmer" Kleber gemäß EMICODE EC1+ oder gleichwertig empfohlen. Interessant ist bei natureplus im Basisteil eine besondere Verbotsliste mit Einsatzstoffen, die als H-Sätze gekennzeichnet sind (Seite 7). Diese Liste mit Risikostoffen ist bei natureplus umfangreicher als die H-Liste im AgBB-Schema.

Weitere Informationen

www.umweltbundesamt.de/publikationen/umwelt-gesundheitsvertraegliche-bauprodukte
www.blauer-engel.de/de/produktwelt/bauen/bodenbelagsklebstoffe
publikationen.dguv.de/3517/liste-der-krebserzeugenden-keimzellmutagenen-und-reproduktionstoxischen-stoffe-kmr-stoffe
www.wecobis.de/index.php
www.wingisonline.de/
echa.europa.eu/de/substances-of-potential-concern
www.natureplus.org
www.agoef.de/schadstoffe/schadstoffe-allgemein/schadstoffmessungen.html
/glossar/schadstoffe





 


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