Baubiologie und Oekologie

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Bayreuth, 20.04.2024

 

Wenn alte Mineralwolle riskante Fasern freisetzt

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Künstliche Mineralfasern (KMF) gelten als die kleinen Verwandten von Asbest. In bestimmten Abmessungen sind sie ebenfalls lungengängig und können je nach ihrer Verweildauer im Atmungssystem Krebs auslösen. Aus diesem Grund ist die Herstellung der riskanten Faser ab Juni 2000 in Deutschland verboten. Bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten trifft der Handwerker zwangsläufig auf KMF und auch Bauherren sehen sich beim Erwerb von älteren Immobilien mit dem Schadstoff konfrontiert. Die Gefahrstoffverordnung liefert in den Paragraphen 10 und 11 die gesetzliche Basis im Umgang mit den Fasern und die TRGS 521 (Technische Regeln für Gefahrstoffe) listen den Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene auf. Im privaten Bereich fehlen bisher gesetzliche Grenzwerte. Die Stadt Nürnberg bewertet daher Baumaßnahmen mit riskanten Fasern nach Vorsorgewerten.

Einstufung von "alter" und "neuer" Mineralwolle

Die TRGS 521 unterscheidet Mineralwolle nach dem Zeitpunkt des Verwendungsverbots. So gelten Produkte, die nach dem Jahr 2000 verkauft wurden, als gesundheitlich unbedenklich. Wurden Stoffe vor dem Jahr 1996 eingebaut, so kann man davon ausgehen, dass es sich um "alte" Mineralwolle handelt. Die darin enthaltenen Faserstäube enthalten künstliche anorganische Mineralfasern mit einer Länge von größer fünf Mikrometern (µm) und einem Durchmesser von kleiner drei Mikrometern. Faserstäube mit diesen Ausmaßen gelten als lungengängig. Das zweite wichtige Kriterium ist die Verweildauer (Biopersistenz) im Körper. Bei "neuer" Mineralwolle geht man davon aus, dass die Biopersistenz unter 40 Tagen liegt. Bei Produkten vor 1996 können die Fasern zwischen 40 und 200 Tagen in den Atmungsorganen verbleiben und damit Krebs auslösen. Die Kombination aus Faserstruktur und Biolöslichkeit bildet die Grundlage für den Kanzerogenitätsindex (KI). Die TRGS 905 definiert drei Risikostufen: Stoffe mit einem KI-Wert gleich oder kleiner 30 werden als krebserzeugend für Menschen angesehen und stehen in der Gruppe K2. In Gruppe K3 gruppiert die TRGS 905 Stoffe mit einem KI-Index zwischen 30 und 40 ein: sie geben Anlass zur Besorgnis wegen einer möglicherweise krebserzeugenden Wirkung. Produkte mit einem KI-Index von größer 40 gelten als nicht-krebserzeugend und stehen in Gruppe 3.

Erkenntnisse der Krebsforschung im Zusammenhang mit Faserstäuben

Der Ausschuss für Gefahrstoffe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gab im Jahr 2010 eine Arbeit zur Exposition-Risiko-Beziehung zu Aluminiumsilikatfasern in Auftrag. Die Aussagen in diesem Bericht beschreiben die aktuellen Erkenntnisse der Krebsforschung in Zusammenhang mit Faserstäuben. Demgemäß liegen die sichersten Erkenntnisse im Bereich von Asbestfasern vor. Das Risiko der Faserteilung in Längsrichtung und die praktisch unendliche Verweildauer im Körper haben zum unumstößlichen Nachweis des Krebsrisikos von Asbest geführt. Die Laborforschung wird untermauert durch Erkenntnisse der Arbeitsmedizin. Die deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) verwies im Jahr 2017 auf jährlich rund 1000 Todesfälle von Asbestarbeitern. Die Latenzzeit beträgt in den meisten Fällen dreißig Jahre und mehr. Bei künstlichen Mineralfasern fällt die epidemiologische Einschätzung ungleich schwerer. Aufgrund der hohen Zahl von Lungenkrebs unter den Krebsarten fällt das Herausarbeiten von zusätzlichen berufsbedingten Fällen schwer. Ein eindeutiger Zusammenhang besteht jedoch dann, wenn die berufsbedingte Exposition zum Entstehen von Mesotheliomen geführt hat. Mesotheliome sind eine besondere Form des Krebses, der hauptsächlich im Bereich des Lungen- und Bauchfells auftritt. Diese Art der Erkrankung kommt bei der Durchschnittsbevölkerung sehr selten vor und lässt dadurch Rückschlüsse auf eine berufsbedingte Ursache zu. Deutliche Hinweise auf die krebserzeugende Wirkung von KMF zeigen die durchgeführten Tierversuche. Im Labor wurden Ratten, aber auch Hamstern und Mäusen, Fasermaterial direkt in den Bauchraum gespritzt, als sogenannte intraperitoneale Verabreichung. In zahlreichen Versuchen wurden Stäube unterschiedlicher Struktur (Länge und Querschnitt) und unterschiedlicher Verweildauer im Körper getestet. So konnten die Forscher auch nachweisen, welchen Einfluss die Biolöslichkeit bei entsprechenden Faserstrukturen aufweist. Die Asbestfaser Krokydolith wird dabei stets als Referenzwert herangezogen. Krokydolith entspricht am ehesten in seiner Struktur den künstlichen Mineralfasern, wobei die Biolöslichkeit dieser Asbestfaser bei hundert Jahren liegt.

Das Schutzstufenkonzept der Stadt Nürnberg

Die Stadt Nürnberg hat im Jahr 2003 eine sehr schöne Handlungsanweisung für den Umgang mit künstlichen Mineralfasern für Gebäude im Stadtgebiet entwickelt. Das "Schutzstufenkonzept" stützt sich in erster Linie auf die Vorgaben der TRGS 521 (Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten mit alter Mineralwolle), enthält aber darüber hinaus viele praktische Tipps für die Herangehensweise bei Problemen mit KMF und ein eigenes Bewertungsschema zur Einstufung der Dringlichkeit einer Maßnahme. Demnach sind Sanierungsmaßnahmen immer dann notwendig, wenn sich bei einer Ortsbegehung augenscheinlich bauliche Mängel ergeben. Dies gilt besonders, wenn Mineralwolle ohne Schutz mit der Raumluft in Kontakt steht. Zur Beurteilung der Sanierungsdringlichkeit greift ein 5-Stufen-Plan mit Stufe 1 als "starke Belastung" und sofortigen Minderungsmaßnahmen und Stufe 5 als "keine Belastung" und keiner erforderlichen Sanierung. Eine "starke Belastung" wird folgendermaßen definiert: Faserfreisetzung in die Innenraumluft möglich, KI kleiner 40, eine interne Bewertungszahl von größer 79 und/oder ein Faseranteil in der Raumluft von 1000 Fasern je Kubikmeter.

Geeignete Laboranalytik bei KMF

Auch die Stadt Nürnberg verzichtet nicht auf Laboruntersuchungen. Eine Materialuntersuchung sollte dann erfolgen, wenn aus den Bauunterlagen nicht eindeutig hervorgeht, wann die Dämmwolle eingebaut wurde. Bei einer "alten" Wolle geht die TRGS 521 generell von einem Krebsverdacht aus. Im Labor lässt sich im ersten Durchgang die Faserqualität bestimmen, d. h. Länge und Querschnitt der Fasern (siehe Foto oben links). Weisen die Fasern einen Massengehalt von in der Summe über 18 Prozent der Oxide von Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium und Barium aus, so wird das Material nach der Gefahrstoffverordnung, Anhang II Nr. 5 als "biopersistente Faser" eingestuft. Die Kombination aus beiden Werten ergibt den Kanzerogenitätsindex. Aus Sicht des Probennehmers gestaltet sich die Raumluftprobe zeitlich aufwendiger. Über einen goldbedampften Kernporenfilter werden 3.500 Liter Raumluft bei einem Volumenstrom von 7,6 Liter je Minute gesaugt. Somit beträgt der Zeitaufwand knapp acht Stunden. Im Labor werden die Fasern "ausgezählt" und auf einen Kubikmeter Raumluft umgerechnet. Ein Anteil von 500 bis 1000 Fasern je Kubikmeter (F/m³) in der Raumluft gilt als deutliche Erhöhung. Beträgt der Faseranteil mehr als 1000 F/m³, spricht man von einer stark erhöhten Belastung.

Links

baua.de Gefahrstoffverordnung siehe Anhang 2, Nr. 5
baua.de TRGS 521
baua.de Expositions-Risiko-Beziehung künstliche Fasern
nuernberg.de Handlungsanweisung künstliche Mineralfasern
agoef.de Künstliche Mineralfasern






 


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